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Schön, dass Sie unserem Link gefolgt sind.

 

Auf dieser Seite finden Sie einen Einblick in unser Buch: den Prolog und eine der zwölf Begegnungen. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Probelesen. 

 

Alles Liebe, Martina & Tim



Prolog

 

Die Tatsache, dass Sie diesen ersten Satz lesen, dass Sie überhaupt zu diesem Buch gegriffen haben, wohlwissend, dass es sich mit einem unangenehmen Thema beschäftigt, von dem auch Sie in vielfältiger Form betroffen sein werden, gibt mir den Mut, Ihnen gleich zu Beginn die vielleicht entscheidende Frage zu stellen:

 

WIE WOLLEN SIE STERBEN?

 

Falls Sie nun geneigt sind, ob dieser Ungeheuerlichkeit, das Buch direkt wieder zuklappen zu wollen, könnte ich das gut nachvollziehen. Sie ist unangenehm, diese Frage, und steht im krassen Gegensatz zu unserem gesellschaftlichen gelebten Bild, in dem es mehr und mehr um Lifestyle in allen Farben und Formen geht. Also bitte, zwingen Sie sich nicht, es ist in Ordnung, wenn es gerade nicht passt. Dankbar wäre ich Ihnen aber, wenn Sie dieses kleine Buch parat halten sowie ab und an mal öffnen, vielleicht öffnet es irgendwann ja Sie…

 

Da Sie nun auch diese Zeile lesen, möchte ich Ihnen ganz kurz davon erzählen, wie es zu diesem Buchprojekt gekommen ist und mit welchen Vorzeichen ich in die Begegnungen gegangen bin, von denen ich Ihnen später ausführlich berichten werde.

 

Der Tod begegnete mir erstmals bewusst, als vor vielen Jahren ein enger Freund von mir starb. Bis dahin hatte ich keinen einzigen Gedanken an das Sterben verschwendet, hielt uns für unverwundbar und dachte, wir würden gewinnen. Dann hörte sein Herz auf zu schlagen und meines fand einen versöhnlichen Gedanken, an dem es sich festhalten konnte: 

Er ist nicht VON mir gegangen, er ist lediglich VOR mir gegangen.

 

Er sitzt jetzt irgendwo da oben, zusammen mit einem Haufen toller Leute; dem geht’s bestimmt gut da! Das half in dem Moment, auch wenn es natürlich nur die halbe Wahrheit darstellte. Die bitterere Hälfte ist: Weder das Leben, noch das Sterben sind plan- geschweige denn kontrollierbar; genau das macht uns Angst, genau dem stemmen wir uns auf mehr oder weniger obskure Weise entgegen, genau das ist es, was uns letztlich den Umgang mit dem Leben und dem Sterben so schwermacht. Doch ich ignorierte diese Hälfte einfach, so wie es alle anderen auch taten.

 

Beinahe zwanzig Jahre später, schrieb ich eine Kolumne über Menschen, die einem Beruf oder einer Berufung nachgingen, welche ich für gesellschaftlich unterschätzt hielt. In diesem Rahmen wollte ich eine ehrenamtliche Hospiz-Mitarbeiterin vorstellen und scheiterte krachend am Veto des Chefredakteurs. Bis dahin wurden alle Ideen genehmigt: Hebammen, Priester, Swingerclub-Besitzer, Tatortreiniger – nur eine Hospiz-Mitarbeiterin, das schien unmöglich. Ich blieb verwundert zurück, kam dennoch mit der Frau in Kontakt und stellte fest, dass diese Ablehnung keine Ausnahme war. Unsere Gesellschaft schiebt kaum ein Thema so konsequent zur Seite wie das Sterben.

 

Noch deutlicher wurde dies, als ich Kontakt zu den Menschen aufnahm, die vom Sterben leben, also wirtschaftlich profitieren. Friedhofsgärtnereien, Sargbauer, Bestatter – sie alle kannten die Problematik, sie alle befürworteten die Idee, das Sterben zu thematisieren und doch, zur Umsetzung beitragen und sich selbst dafür einsetzen, das wollten sie nicht. Obskurer Höhepunkt war letztlich die Nachricht eines Bestattungshauses (!):

 

»Vielen Dank für Ihre Bemühungen, wir haben uns jedoch gegen eine finanzielle Unterstützung Ihres Projekts entschieden, da wir in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mit dem Thema Sterben in Verbindung gebracht werden wollen.«

 

So fragwürdig diese Antwort scheint, sie ist nur Ausdruck des tiefsitzenden gesellschaftlichen Phänomens, im Zweifel der Verwundbarkeit lieber wegzuschauen und damit die erste und einzige Gesetzmäßigkeit des Lebens auf absurde Weise zu ignorieren: Es ist vergänglich.

Dem ganzen daraus entstehenden Dilemma wollte ich etwas entgegensetzen – das war mein persönliches Motiv zu diesem Buch. Ich wollte mich dieser Angst stellen und etwas über das Leben lernen, in dem ich mich mit dem Sterben im Allgemeinen und den Sterbenden im Speziellen beschäftige.

 

In dem festen Glauben, dass am Ende eines jeden Lebens eine Perspektive wartet, die den Blick auf das Wesentliche schärft und von der wir – die wir uns mitten im Leben wähnen – etwas lernen können, traf ich in den folgenden zwölf Monaten Menschen auf den letzten Metern ihres Lebens.

Ich wollte ihnen die Gelegenheit geben, loszuwerden, was sie noch zu sagen hätten, wenn sie jemand fragen würde. Ich wollte erfahren, was sie vom Leben gelernt haben, was sie prägte und was sie nun, am Ende angekommen, bewegt. Ohne etwas vorwegnehmen zu wollen, das war Vieles – Leichtes, Wildes und Fröhliches, aber auch Trauriges, Warnendes und Geraderückendes.

Aber lesen Sie selbst.

 


 

 

»Eine Grütz- und eine Semmelwurst, schöne Frau.« 

Eine Begegnung mit Käthe, 82 Jahre alt

 

 

»Junger Mann, kommen Sie rein, ich erzähle Ihnen gern etwas von mir, schreiben Sie das in Ihr Buch, kann ruhig jeder wissen, wie das so ist, wenn man am Ende angekommen auf sein Leben zurückblickt.«

 

»Und, wie ist es?«

»Ach, alles halb so schlimm.«

 

Käthe sieht strahlend schön aus, auch ohne gerade Nase, straffe Arme und elegante Beine. Herzenswarm, fröhlich und weiß Gott, nicht auf den Mund gefallen. Und, sie hat es einigermaßen eilig.

 

»Fangen wir an?«

»Fangen wir an.«

 

»Ich erinnere mich an die Zeit, als die Bäume auch im Sommer keine Blätter hatten. Wir waren so hungrig, wir aßen beinahe alles. In dieser Zeit war das halbe Pfund Zucker, das meine Mutter von jemandem geschenkt bekam, das wir versteckten, von dem wir nur zweimal eine Prise probierten und uns den Rest immer für den Tag aufheben wollten, an dem der Vater aus dem Krieg heimkehrt, dieses halbe Pfund war uns sehr viel wert! Sie machen sich keine Vorstellung, wie meine gute Mutti mich ansah, als sie eines Tages entdeckte, dass ich beinahe alles heimlich aufgegessen hatte. Sie war sehr traurig, umarmte mich und fand dennoch Verständnis. Ich schäme mich bis heute dafür und denke bei jedem Löffel Zucker an sie und diesen Augenblick zurück.«

 

Käthe hat diese sanfte Melancholie in ihren Augen, in denen man nur erahnen kann, dass ihr Leben ein bewegtes war.

 

»Als der Krieg zu Ende und der Vater noch immer nicht heimgekehrt war, hingen am alten Konsum die Verlustlisten aus. Wie sture Böcke gingen meine Mutter und ich an ihnen vorbei – ohne sie eines Blickes zu würdigen. Es war Mai, dann Juni, Juli und irgendwann kam der Winter. Man sagte meiner Mutter, wir sollen akzeptieren, wie es ist, er wird nicht zurückkehren. Entweder ist er geflohen oder tot. So waren die Leute damals. Es war kein Platz für Gefühle. Meine Mutter war tüchtig und hatte Kraft, von daher war sie sehr begehrt bei den alleinstehenden Männern. Die Not war groß und es wäre ein Leichtes gewesen, sich irgendeinem anzuschließen, um vielleicht ein wenig besser über die Runden zu kommen. Aber das kam für sie nicht infrage. Sieben Jahre vergingen, die Hoffnung schwand. Bis an einem unschuldigen Samstagmorgen meine Mutter als Angestellte hinter der Fleischereitheke stand, jemanden erst eintreten und dann bestellen hörte:

 

»Eine Grütz- und eine Semmelwurst bitte, schöne Frau.«

 

Wie ein Blitz muss es sie durchfahren haben; es gab nur einen Mann weit und breit, der auf diese Art und in diesem charmanten Ton bestellte – meinen Vater.«

 

»Eine ziemlich beeindruckende Frau, Ihre Mutter.«

»Ja, das war sie. Und nur falls es Ihnen entgangen sein sollte – ich komme nach ihr.«

»Das merkt man«, wir teilten uns ihr charmantes Schmunzeln.

 

»Ich bin in einer Zeit erwachsen geworden, in der eine Frau wie meine Mutter die absolute Ausnahme war. Die allermeisten anderen Frauen waren gezwungen, sich unterzuordnen – sei es durch die Folgen der Kriege, die Gesellschaft, die Geschichte, die Kirche oder gar den eigenen Mann. Wenn ich heute so zurückblicke, dann bin ich sehr froh, dass meine gute Mutti mir beigebracht hat, wie wichtig eine gewisse Form der Unabhängigkeit ist. Keiner sagt, dass das leicht war oder heute wäre, aber es ist wichtig. Und ich hoffe, ich konnte diese Erkenntnis an meine Tochter weitergeben.«

 

Und dann erzählt mir diese Frau von ihrer ehemaligen Nachbarin, die 54 Jahre im ehelichen Schatten zu verwelken drohte, ehe ihr endlich die Befreiung gelang: »Sie wurde ihr ganzes Leben von ihrem depressiven Vater bevormundet und heiratete seine Wahl, weil sie selbst keine andere hatte; sie kannte es nicht anders. Immer wieder sagte ich ihr, sie solle gehen, sie müsse ihn verlassen. Erst auf dem Sterbebett gelang es ihr, erst dann sah sie so klar, dass sie ihm sagen konnte, was sie hätte dreißig, vierzig Jahre zuvor schon sagen sollen. Ist das nicht schlimm?« 

 

Ich nicke zustimmend.

 

»Nein, nein, junger Mann, das allermeiste würden sich die mutigen Frauen von heute nicht mehr gefallen lassen, ein Glück. Und doch gibt es noch immer so viele da draußen, denen Courage und Möglichkeit fehlen, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen.«

 

»Ist es Ihnen gelungen, Ihr Leben so zu gestalten, wie Sie es sich gewünscht haben?«

»Sie stellen ja Fragen! Wahrscheinlich wäre es besser, ich würde eine Weile darüber nachdenken. Und mit einer Weile meine ich eine kleine Ewigkeit, so groß ist Ihre Frage, so vieles gäbe es dabei zu bedenken. Aber Sie wissen ja, wie es um die Zeit im Allgemeinen und meine im Speziellen bestellt ist. Von daher sage ich einfach Ja.«

 

»Ist es denn so einfach?«

»Ja, das ist es.«

 

Wir schweigen. Ich im fortgeschrittenen Stadium irritiert; sie sehr sanft und in einem Gedanken verloren.

 

Dann sagt sie: »Wissen Sie, vom Ende aus betrachtet, und deswegen sind Sie ja da, von diesem Ende aus, lässt sich wohl sagen, dass man all die Dinge, die man denkt und fühlt und tut – übrigens in dieser Reihenfolge – in zwei Kategorien ordnen kann: Liebe und Angst. Und wem es gelingt, sich immer öfter und immer wieder für die Liebe zu entscheiden, dem gelingt es wohl, sein Leben so zu gestalten, wie er es sich gewünscht, wie er oder sie es sich vorgestellt hat. Und unter dieser Prämisse würde ich bei aller Bescheidenheit sagen: Ja, ich habe irgendwann angefangen zu gestalten. Und dann ausreichend oft, so wie ich es wollte, um zufrieden zurück zu schauen.«